BLICK-Interview mit Joschka Fischer: «Putin will die Weltmacht»

Written By Unknown on Jumat, 02 Mei 2014 | 14.44

BLICK: Erlauben Sie eine persönliche Frage: Wie ist Ihr Verhältnis zu Ex-Kanzler Gerhard Schröder?
Joschka Fischer:
Ich war kürzlich bei seinem 70. Geburtstag.

Also ist es gut?
Kein schlechtes Verhältnis.

Uns überrascht, wie sich Ihre Meinung als Ex-Aussenminister im Kabinett Schröder zur aktuellen Russland-Krise unterscheidet.
Wir sind nicht verheiratet.

Schröder ist ein Freund Russlands, und er behauptet, dass wir Europäer einfach unfähig seien, Russland zu verstehen. Was sagen Sie dazu?
Ich habe damit kein Problem. Nur, verstehen heisst nicht billigen. Ich verstehe viele Leute, die Fehler machen. Ich meine, Wladimir Putin hat einen Riesenfehler gemacht.

Wieso?
Er überschätzt Russland. Russland hat nicht mehr die Fähigkeiten, zurück zur Weltmacht zu kommen, ohne sich umfassend zu modernisieren. Ich sehe diese umfassende Modernisierung nicht. Ich fürchte sogar, dass das Ganze für Russland ein weiterer Rückschlag sein wird wie so oft in der Geschichte. Und dass das russische Volk eine weitere Modernisierungs- und Liberalisierungschance nicht nutzen kann. Insofern ist das ein grosser Jammer.

Was meinen Sie damit?
Ich habe mir keine Illusionen gemacht seit seiner ersten Amtszeit. Wladimir Putin hatte drei Ziele: Erstens Russland wieder von den Knien erheben zu lassen, was legitim ist. Zweitens die Wiederherstellung russischer Weltmacht, was, wie ich finde, nicht funktionieren wird. Und das Dritte ist das Nutzen dieser Weltmacht. Das können wir im Iran und Syrien sehen. Russland ist eine bedeutende Macht. Aber dazu muss es die wirtschaftlichen und sozialen Voraussetzungen schaffen. Was Putin betreibt, läuft auf eine Isolation Russlands hinaus.

Der Westen kann kein Interesse an einer Isolation des Putin-Reiches haben.
Die eigentliche Herausforderung für Russland kommt nicht aus dem Westen, sondern von Ostasien. Im Süden hat Russland keine Perspektive. Dort ist die Welt des Islam. Wo gehört Russland also hin? Isolation – oder sich für Europa, für den Westen zu öffnen. Das aber tut Putin nicht.

Wenn sich Russland Richtung ­Asien orientieren würde, was ja theoretisch denkbar wäre, wäre das für Europa schlecht.Nein. Das würde bedeuten, ­einen Ausverkauf Richtung China zu betreiben. Und China wird die strategische Herausforderung für Russland auf längere Sicht, nicht der Westen. Aber das ist eine russische Entscheidung. Die muss in Russland getroffen werden. Ich hielte das für falsch, für sehr kurzsichtig.

Wieso?
Wie soll das denn aussehen? 80 Prozent der russischen Bevölkerung leben westlich des Urals. Da darf man sich doch keine Illusionen machen. Russland gehört nicht zu Ostasien. Russland gehört nicht zu Zentral­asien. Russland gehört nicht zum islamischen Süden. Es hat nur zwei Möglichkeiten.

Nämlich?
Die russische Bevölkerung wählt eben die Isolation, also sozusagen den Rückzug in eine vorpetrinische Mentalität. Das war die Zeit vor Peter dem Grossen, als Russland isoliert war. Oder aber Öffnung gegenüber dem Westen. Was es nicht geben wird, ist eine russische Sonderrolle als Grossmacht in Europa. Das sehe ich nicht.

Was kann Europa tun, um diese Entwicklung etwas zu forcieren?
Für mich ist klar: Je weniger zweideutig die europäische ­Position gegenüber Russland ist, desto deeskalierender wirkt das. Und je mehr Verständnis man Putin zeigt, desto mehr ist das eine Einladung für die nächsten Schritte. Denn in Moskau wird das als Schwäche oder gar als Dekadenz verstanden.

Ist Putin eine Gefahr für Europa?
Er ist vor allem eine Gefahr für die Zukunft Russlands. Das ist meine Hauptsorge. Ich denke, für die Sicherheit Europas können die Europäer schon selber sorgen. Da spielen die Nato eine Rolle, die USA, aber auch die Europäer. Ich glaube nicht, dass Wladimir Putin die Absicht hat, so weit zu gehen, dass es zu einer bewaffneten Konfrontation käme. Allerdings, ich habe das auch prognostiziert, wird die Ostukraine der nächste Zielpunkt sein. Und aus meiner Einschätzung geht es um die Desta­bilisierung der Ukraine.

Warum?
Putin wollte ja nicht die Krim. Das war ja überhaupt nicht die Absicht. Das war mehr ein Unfall, der sich daraus ergab, dass Wladimir Putin mit dem ehemaligen ukrainischen Präsidenten Janukowitsch einig war. Dabei ging es ja gerade darum, dass die Ukraine gegen Geld und reduzierte Öl- und Gaspreise in die Zollunion mit Russland eintritt. Das war das Ziel. Das heisst, die Rückkehr der Ukraine in den russischen Orbit.

Das wurde nicht von allen Ukrainern goutiert.
Dieses Abkommen hat den Aufstand auf dem Maidan-Platz in Kiew ausgelöst. Das führte zum Sturz von Janukowitsch, und der Sturz von Janukowitsch führte dann zu der Annexion der Krim durch Russland. Aber es ging ja nicht um die Anne­xion der Krim. Es ging um die Ukraine. Das darf man nicht vergessen. Es ging dort eben ­darum, die Ukraine in den russischen Orbit zurückzubekommen. Erst als das aus dem Ruder lief, eskalierte die Situation, so wie wir sie heute kennen.

Was ist der grosse Plan?
Das läuft faktisch auf die Revision der postsowjetischen Ordnung in Osteuropa hinaus. Eine These, die ich schon sehr lange vertrete. Man hat die Ukraine und deren Bedeutung für Russland im Westen unterschätzt.

Warum das?
Putin hat selber gesagt, er halte die Auflösung der Sowjetunion für die grösste Katastrophe im 20. Jahrhundert. Warum ist die Sowjetunion verschwunden, zugrunde gegangen? Nicht weil der Westen das wollte. Das Imperium war nicht mehr finanzierbar. Und der Vielvölkerstaat Sowjetunion, sprich Gross­russland, war nur mit Gewalt zusammenzuhalten. Sobald die Einpar­teienherrschaft der kommunistischen Partei ihren eisernen Griff gelockert hatte, begann eine regelrechte Flucht aus dem Vielvölkerstaat, und zwar nicht nur in Europa, Zentralasien oder Kasachstan, sondern überall. Und das betraf die Sowjetunion, die wesentlich stärker war als die heutige russische Födera­tion. Es war nicht der Westen, sondern es waren die inneren Widersprüche dieses Impe­riums, die es zu Fall brachten.

Putin hat Angst, dass sich das ­wiederholt?
Er herrscht jetzt über eine sehr viel schwächere Russische ­Föderation, als es die alte Sowjet­union gewesen war. Das heutige Russland erreicht lediglich zwölf Prozent des Brutto­inlandprodukts der USA, oder lediglich sechs Prozent des Westens, ohne Japan. Ähnliches gilt auch militärisch. Russland baut seine Schiffe nicht mehr selbst, es lässt sie in Frankreich produzieren. In vielen technologischen Bereichen ist das Land ganz ­offensichtlich nicht mehr wettbewerbsfähig.

Das will Putin mit seinem harten Vorgehen in der Ukraine kaschieren?
Es zeigt zumindest, wie wenig zu Ende gedacht das alles ist. Und dass es auch sehr stark innenpolitisch motiviert ist, was die Sache nicht besser macht.

Hat die EU keine Fehler gemacht?
Die EU hat aus meiner Sicht nicht optimal gehandelt. Ihre wichtigsten Mitgliedstaaten wie Deutschland und andere haben sich viel zu wenig um die Ukraine gekümmert. Lediglich Polen und die baltischen Staaten muss ich hier ausnehmen. Die europäische Politik aber hatte nicht wirklich ein Interesse an der ­Ukraine. Auch wenn klar war und ist, dass die Ukraine einen Eckstein der postsowjetischen Staatenordnung in Osteuropa darstellt.

War die Krim, die Ukraine für Putin eine Einzelhandlung oder führt er eine weiter gehende Agenda?
Das ist keine Einzelhandlung. Ich meine, Wladimir Putin ist das Gegenteil eines Irren. Er denkt sehr rational. Lediglich seine Ausgangsposition ist meines Erachtens überhaupt nicht durchdacht. Aber das kommt in der Politik ja öfter vor. Wladimir Putin will den Weltmachtstatus Russlands wiederherstellen.

Ein Projekt von historischer ­Dimension also?
Der Weltmachtstatus Russlands hat sich entwickelt und genährt aus der Westausdehnung des Landes. Höhepunkt der Westausdehnung war der 8. Mai 1945 mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs, als russische Soldaten in Berlin standen und Russland als erste Siegermacht aus dem Weltkrieg hervorging. In den 1970er-Jahren galt die weltpolitische Gleichrangigkeit mit den USA faktisch als erreicht. Das ist, was Putin umtreibt.

Die Ukraine als Speerspitze einer neuen Westausdehnung Russlands?
Davon lässt sich die russische Strategie ableiten. Westausdehnung bedeutet ja auch, dass der nach dem Zerfall der Sowjet­union verloren gegangene Einfluss in Europa wiederhergestellt werden muss. Natürlich nicht mit militärischen Mitteln. Da spielen Energieexporte und ähnliche Dinge eine Rolle. Die russische Politik wird sich an diesem Punkt nicht ändern. Insofern rate ich den Europäern und dem Westen dringend, sich darauf einzustellen.

Sind in einem solchen Szenario Sanktionen des Westens überhaupt sinnvoll?
Ich bin kein Freund von Sank­tionen, aber sie sind als Mittel nicht auszuschliessen. Der russische Föderationsrat hat ja erklärt, man könne ausländische Investoren enteignen. Nach so einer Selbstsanktion muss die EU eigentlich kaum noch Sanktionen aussprechen. Eine solche Ansage hatte sofort 70 Milliarden Dollar Kapitalabfluss zur Folge, und dabei wird es nicht bleiben. Das zeigt, es ist alles nicht zu Ende gedacht.

Dennoch sind Sie für Härte des Westens.
Ich bin der Meinung, jedes Signal Europas und des Westens, das auf Verständnis und Ähnliches zielt, wird in Moskau nicht als Einladung zum Dialog, sondern als Signal der Schwäche verstanden, als Ermutigung für eine falsche Politik. Da bin ich entschieden dagegen. Wir müssen übrigens auch sehen, dass die Sorgen in Warschau, den baltischen Staaten, Tschechien, der Slowakei, Moldawien sehr gross sind.

Inwiefern?
Gerade in Polen hört man mit historisch sehr sensiblen Ohren und blickt mit historisch sehr sensiblen Augen auf Deutschland. Der polnische Albtraum ist der Hitler-Stalin-Pakt aus dem Jahre 1939, als der braune und der rote Diktator Polen unter sich aufteilten.

Wir leben heute in einer anderen Zeit.
Ich vergleiche die heutige Situation überhaupt nicht mit der Nazizeit. Das muss man klar ­sagen. Aber in Polen ist man zu Recht hypersensibel: Gibt es in Deutschland zu viel Verständnis für Russland? Geht das wieder zu unseren Lasten? Das darf man nicht vergessen. Angela Merkel macht das gut, aber ich finde, dass man in Deutschland diese historisch berechtigten Sensibilitäten in unseren östlichen Nachbarstaaten und bei unseren Partnern schon mehr zu ­beachten hat. Ich verstehe die Ängste, die dort vorhanden sind auf dem Hintergrund ihrer geschichtlichen Erfahrung.

Die ehemaligen Satellitenstaaten haben sich doch der EU ange­nähert und damit für Europa entschieden.
Die Balten waren mehr als ­Satellitenstaaten. Die Balten wurden ja zwangseingemeindet in die Sowjetunion.

Könnte es da ein Rollback geben?
Nein.

Aber dann ist ja die Gefahr, dass Russland seinen Einfluss in Europa vergrössern könnte, gar nicht so gross.
Oh doch! Russland hat in diesen Staaten überall russische Minderheiten. Die Minderheiten­frage wird ja als Instrument benutzt, wie wir jetzt gerade gesehen haben. In Warschau schaut man fast mehr auf Berlin als auf Moskau. In Warschau fürchtet man, erneut in eine schwierige Lage zu kommen. Ich bin überzeugt, diese Furcht ist nicht berechtigt. Aber ich verstehe die historischen ­Gründe dafür. Wäre ich Pole, ginge es mir vermutlich ähn­lich.

Und der Weg aus dieser Krise?
Entweder wird die Krise weiter eskalieren. Das hängt von Moskau ab. Der Westen wird dann meines Erachtens eine sich immer stärker versteifende, abwehrende Position einnehmen müssen. Auch aufgrund der Tatsache, dass wir Partner und Freunde haben, die sich einem russischen Druck ausgesetzt ­sehen. Es gibt aber auch in der Ukraine viele Menschen, die an Demokratie, Rechtsstaat und an Europa glauben.

Kommt ein neuer Kalter Krieg?
Ich halte nichts davon, zu einer Politik der Einflusszonen zurückzukehren. Das hat Europa immer nur Unheil gebracht. Es sei gerade dieses Jahr daran erinnert, wohin uns vor hundert Jahren die Politik der Einflusszonen geführt hat: in den Ersten Weltkrieg. Das zu reanimieren, halte ich für einen fatalen Fehlschluss. Man wird Russland am Ende überzeugen müssen, dass es diese Politik nicht durchsetzen kann. Ein neues Containment vielleicht, ein neuer Kalter Krieg – nein.

Michail Gorbatschow hat einmal von einem Haus Europa mit Russland gesprochen. Eine Utopie?
Ich hätte mir gewünscht, dass diese Idee vom Haus Europa mit Russland realisiert würde. Aber es geht nicht zu den Bedingungen des 19. Jahrhunderts. Sondern es geht nur zu den Bedingungen des 21. Jahrhunderts. Es war ja die richtige Vision, Wandel durch Wirtschaftsintegration zu ermöglichen. Das ist nicht falsch. Aber das geht nicht, wenn die andere Seite ­einer Politik folgt, die letztendlich auf Einflusszonen und Grossmacht setzt. Das passt nicht zusammen.


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